Leseprobe

“Meine erste 6,0”

Auszug aus dem neuen Buch über das Leben der erfolgreichsten Berliner Eiskunstläuferin Christine Stüber-Errath. – Autor: Jens Rümmler

Wie war das denn nun aber mit der Errathschen Privateisbahn?

Na, pass auf: Meine Eltern stellten ziemlich schnell fest, dass ich schon als kleines Mädchen einen starken Bewegungsdrang hatte. Wenn im Fernsehen irgendetwas mit Tanz zu sehen war, sprang ich voller Begeisterung im Rhythmus der Musik hin und her. Mein Wunsch, Ballett-Tänzerin zu werden, wurde nicht erfüllt, denn das war mit 5 Jahren nicht möglich. Zumindest gab es in unserer Nähe keine Kindertanz- oder Ballettgruppe.

Zum Glück muss man ja heute fast schon sagen?

Eigentlich hast du Recht. Im Sommer 1961 fragte mich dann eine Freundin, ob ich nicht zum Rollschuhlaufen mitkommen möchte. Die Rollschuhbahn befand sich im Friedrichshain. Wir schauten uns die Sache dort an. Das sah lustig aus. Und wir fragten die Übungsleiterin, Frau Annemarie Hansen vom SC Dynamo Berlin, ob wir nicht mitmachen könnten.

Und dann ging`s gleich los – ab auf die Rollschuhbahn?

Sozusagen. Nur am ersten Tag gab es Schwierigkeiten. Ich hatte Schuhgröße 26 und so kleine Rollschuhe waren nicht da. Frau Hansen gab mir den Tipp, dass ich es mit Socken probieren könnte. Hurra! Es ging irgendwie. Das Rollschuhlaufen machte Spaß. Nur meine Mutti war immer erschrocken, wenn ich mit aufgeschlagenen Knien nach Hause kam, weil es bei einem Sturz auf der Betonbahn, sofort Hautabschürfungen gab. Egal, ich ging ein bis zweimal in der Woche mit meiner Freundin zum Üben.

Und wie kam es zum Wechsel auf‘s Eis?

Durch Frau Hansen. Sie suchte einige talentierte Kinder aus, die im Winter auf dem Eis weiter trainieren durften. Ich wollte unbedingt Ballerina auf dem Eis werden. Meine Chancen waren allerdings nicht die besten. Als dralles Kind, hatte ich nicht die Figur einer Eisprinzessin. Doch wie es sich noch öfter in meinem Leben zeigte: Mut und Begeisterung werden belohnt. Ich versuchte mein Bestes, strengte mich an. Frau Hansen sagte dann: „Die kleene Errath, die nehmen wir mit aufs Eis. Die ist zwar pummelig, aber ulkig!“ Und so kam es, dass ich im Winter 1961/62 in der Sektion Eiskunstlaufen beim SC Dynamo Berlin anfing. Das passte wunderbar, denn die Eishalle lag nur ein paar Minuten von meinem Elternhaus entfernt.

Und trotzdem konntest du im Winter auch zu Hause Schlittschuhlaufen?

Ab dem Winter 1961 versuchte sich mein Vati als Eismeister. Eine kleine Spritzeisbahn entstand hinter unserem Haus. Ich war 5 Jahre alt. Die Kinder aus der Umgebung kamen auch und ich zeigte ihnen meine erlernten Figuren, die da hießen: Storch, Flieger und Kanone. Auf dem Hof meiner Eltern feierten wir dann gemeinsam ein Kostümfest. Meine Mutti zauberte die herrlichsten Kostüme für mich, da es ja beim Eisfasching auf der großen Eisbahn auch einen Preis für das schönste Kostüm gab. So durfte ich mich als Rotkäppchen, Zirkusdirektorin, Chinese oder Maikäfer verkleiden – sowohl zu Hause, als auch im Sportforum.

Deine Mutti blieb deine Schneiderin bis hin zum Weltmeisterkostüm?

Jedes meiner Eislaufkostüme, von den Faschingsoutfits bis zu meinem Weltmeisterkleid, wurde von meiner Mutti geschneidert. In unendlicher Geduld hat sie eigene Schnittbögen entwickelt, mit mir als ungeduldiges Model, unzählige Anproben überstanden, oft alle Nähte zum x-ten Mal aufgetrennt und wieder neu genäht, und selbst das Sticken der winzigen Pailletten kommt auf ihr Konto. Danke tausend Mal für die Liebe, die Geduld, die Leidenschaft. Ich bin wirklich noch heute gerührt, dass meine Mutti das alles geschafft hat.

Deine Mutti war es auch, die dich jeden Tag zum Training brachte und später wieder abholte. Tagein, tagaus, bei Wind und Wetter.

Ich kann das gar nicht genug würdigen. Am Anfang stand sie wie alle Eislaufmuttis, beim Training an der Bande. Sie begleitete mich zum Training und wartete, bis ich fertig war, und wir fuhren zusammen nach Hause. Später dann holte sie mich immer von der Straßenbahnhaltestelle ab. Manchmal dauerte das Training länger, oder ich verpasste eine Bahn. Dann hat sie sich Sorgen gemacht. Ich ging ja schon bald jeden Tag zum Training. Das musste alles organisiert werden. Erst später hatten meine Eltern ein Auto, einen himmelblauen Trabant. Telefon gab es sowieso nicht.

MEINE ERSTE 6,0
Jetzt im Handel
ISBN 978-3-00-055021-8
Seiten: 178
Weit über 100 Farb- und Schwarzweiß-Fotos.